Bringen Atemübungen etwas?

Bringen Atemübungen etwas?

Die Atmung ist elementar für das Leben. Jede Zelle braucht Sauerstoff. Das Atemzentrum im verlängerten Mark sendet Signale für Ein- und Ausatmung. Das geschieht ohne unser Zutun, es ist also unbewusst. Mit Atemübungen nehmen wir bewusst Einfluss. Die Frage ist, bringt das überhaupt was?

Verlängertes Mark

Das verlängerte Mark (Medulla oblongata) bildet den Übergang vom Gehirn zum Rückenmark und ist die im Gehirn liegende Fortsetzung des Rückenmarks. Sie enthält zahlreiche Bahnen und Faserstränge und Hirnnervenkerne. Die Funktionen, die hier maßgebend gesteuert werden, unterliegend nicht der Willkür. Sie sind so wichtig, dass sie quasi vollautomatisch funktionieren.

Dieser Gehirnteil ist in der Entwicklung des Menschen ganz früh entstanden. Der Hirnforscher Paul MacLean nannte es deshalb auch „protoreptilisches Gehirn“ oder kurz Reptilienhirn. Später entstand ein Saum mit dem Namen limbisches System. Hier werden Emotionen verarbeitet, es entsteht das Triebverhalten, und es ist für intellektuelle Leistungen nötig. Das Abbilden von Gedächtnisinhalten ist aber erst mit der Großhirnrinde (Neokortex) möglich. Erst mit dieser können denkende und logische Aspekte die Affekte und Impulse des limbischen Systems kontrollieren.

Der mehr oder weniger rhythmische Atemreiz veranlasst die Atemmuskulatur, den Brustkorb zu heben und das Zwerchfell zu senken. Durch die Atemmechanik strömt die Luft ein und aus. So atmen wir pro Tag rund 20.000 Mal. Können wir durch Atemübungen darauf Einfluss nehmen?

Zwei neuerliche Studien bestätigen Ergebnisse älterer Studien.

Atemstudie I

Die Frage ist in einer Studie von Mitarbeiterinnen der Universität Belgrad untersucht worden[1]Ana Ristovski, Vladimir Mrdaković, PhD: THE IMPORTANCE OF BREATHING EXERCISES FOR FITNESS AND HEALTH. Dafür beurteilte sie Auswirkungen in einer Übersichtsarbeit, das heißt, es wurden mehrere Studien angeschaut und verglichen. Bei folgenden Atemtechniken wurden die Folgen auf die körperlichen Fähigkeiten und die allgemeine Gesundheit von Sportlern und Freizeitsportlern untersucht:

  • Atemmuskeltraining mit einem Atemgerät, welches das Atmen erschwert (insb. Einatmung)
  • Buteyko-Atemtechnik ist eine volumenreduzierte Atmung und das Anhalten des Atems mit verstärkter Bauchatmung
  • Ballonatmung in der Ausgangsstellung 90/90-Brücke mit Ball und Ausatmung in einen Ballon
  • Wim-Hoff-Atmungstechnik ist eine kontrollierte hyperoxidative Atemübung

Es wurden ihre Auswirkungen auf

  • Kraft der Atemmuskulatur
  • kardiorespiratorische Ausdauer
  • Körperhaltung
  • sportliche Leistungen
  • Verminderung von Störungen des Atemmusters
  • weitergehende Folgen (wie zum Beispiel Kortexstabilität)

gemessen.

Veränderungen der Atmung

Wir beschäftigen uns meistens nicht mit der Atmung. Das führt zu der Annahme, dass die Atmung normal ist, wenn keine Lungenerkrankung besteht. Wir wissen, dass Muskeln trainiert werden müssen. Doch bei der Atmung kennen wir das nicht, wir denken, unser Leben hat gar keinen Einfluss auf die Funktion. So lernen wir das auch im Biologieunterricht in der Schule.

Doch das stimmt nicht! Es wäre an der Zeit, die Lehrpläne an Schulen, aber auch im medizinischen Studium zu ändern. Die Atmung ist ein veränderbarer Prozess. Sie passt sich den funktionalen Reizen an. Somit ist sie auch anfällig für Störungen.

Störungen im Atemmuster

Die Störungen des Atemmusters sind nachhaltig. Sie beeinträchtigen die Funktion der Sauerstoffaufnahme und Abgabe von Kohlendioxid. Sie ist also mehr als nur störend, sie ist hoch dysfunktional. Deshalb nennt man eine solche Atmung auch dysfunktionale Atmung.

Mindestens ein Drittel aller Menschen haben ein solches dysfunktionales Atemmuster.

Reiner Schwope

Augenfällig für die dysfunktionale Atmung ist eine übermäßige Atmung. Die übliche Bauch- zu Brustatmung mit einem Verhältnis von > 2/3 verschiebt sich in Richtung Brustatmung. Zudem wird die Frequenz höher, das geht bis zur Hyperventilation. Dabei ist die Atmung zu schnell und zu flach.

Die Nasenatmung ist die natürliche Atmung und wirkt vegetativ entspannend.
Die normale Nasenatmung

Zur Erleichterung atmen viele Menschen über den Mund statt mit der Nase. Das beeinträchtigt die Atmung zudem.

Es wird vermehrt Kohlendioxid abgeatmet. Dies kann zu Schwindel und Ohnmacht führen.

Die Sauerstoffsättigung kann sich um 10-20% mindern.

Der Mangel an Sauerstoff kann zu Schwindel und Ohnmacht führen.
Sauerstoffaufnahme und Kophlendioxidabgabe

Dysfunktionale Störungen können chronisch werden

6-12 % der Bevölkerung leiden unter chronischen Atemstörungen. Chronische Veränderungen des Atemmusters sind unterschwellig. Wir spüren dieses Defizit also nicht. Es ist keine spontane Einschränkung, sie tritt über einen sehr langen Zeitraum auf. Erst spät spüren wir die Einschränkungen, und zwar dann, wenn wir im Alltag eine Leistungseinbuße wahrnehmen. Das kann bei der Arbeit sein oder typischerweise auf der Treppe oder beim Berg hochgehen.

Dysfunktionale Störungen können chronisch werden.
Wenn die Lust knapp wird

Folgen der Atemstörung

Mit einer Atemstörung werden verschiedene Symptome und Krankheiten in Verbindung gebracht. Zu diesen gehören kardiovaskuläre Störungen, die Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit, Nackenprobleme, Panik und Angst, Brustenge, Reflux, Reizdarm, Erschöpfung und viele andere.
Mit einer Atemstörung werden verschiedene Symptome und Krankheiten in Verbindung gebracht. Zu diesen gehören kardiovaskuläre Störungen, die Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit, Nackenprobleme, Panik und Angst, Brustenge, Reflux, Reizdarm, Erschöpfung und viele andere.

Das Vorhandensein einer dysfunktionalen Atmung beeinträchtigt also die allgemeine Gesundheit und die Leistungsfähigkeit. Mittlerweile geht man von einer multidimensionalen Störung aus, dass heißt alle Systeme werden nachrangig betroffen und dies wiederum beeinflusst andere Systeme und letztendlich auch wieder die Atmung.

Atemstudie I: Welche Parameter verändern sich konkret?

Die Blutwerte verändern sich. Die Sauerstoffsättigung nimmt ab und die Abatmung von Kohlendioxid wird erschwert. Das verändert den PH-Wert des Blutes, wir „übersäuern“. Diese Blutwertveränderungen sprechen für einen Zusammenhang zu Krebserkrankungen, die Forschungen dazu sind aber noch nicht abgeschlossen und eindeutig Hinweis gebend.

Die biomechanische Veränderungen sind gut sichtbar. Die dreidimensionale Atmung in alle Lungenbereiche vorne, seitlich, hinten, unten und oben wird zunehmend eindimensional bis nur noch eine erhöhte Brustkorbbewegung in Ruhe zu sehen ist. Das Zwerchfell arbeitet dann gar nicht mehr. Langfristig schwächt das die Atemmuskulatur massiv.

Durch verschiedene Mechanismen kommt es psychophysiologische Störungen (Angst, Stress, Despression). Die Mechanismen sind biochemische Veränderungen (Sauerstoff-, Kohlendioxid- und pH-Störungen), vegetativ fehlende Reizung des Nervus Vagus (der Entspannungsanteil des vegetativen Nervensystems) in der Nase und im Bauchgeflecht als im eigenen Leistungsemfpinden bis hin zum Gefühl des „durchatmen könnens“.

Haltungs- und Bewegungsveränderungen durch Atemstörungen?

Primär, also direkt, kommt es zu einer Einschränkung der Beweglichkeit. Nicht genutzte Bewegungsbereiche reduzieren die Flexibilität. Das betrifft nicht nur das Zwerchfell und den Brustkorb, es sind auch benachbarte Bewegungsbereiche betroffen. So kommt es zu Einschränkungen im Schultergürtel und der Wirbelsäule. Mittel- sowie langfristig sind auch Einschränkungen weiter entfernt liegender Bewegungsbereiche, denn der Körper ist in sich selbst vernetzt.

Zudem sorgt die Minderung der Ausdauerleistungsfähigkeit durch die Atmung zu einer geminderten Anforderung in den Bewegungselementen. Diese Minderung in der Bewegung korrespondiert dann noch negativ mit der Ausdauerleistungsfähigkeit selbst. Zuerst kann nur hochintensive nicht mehr verrichtet werden, später denn auch intensive Arbeit und zuletzt dann Alltags- und Gebrauchsbewegungen. Diese Abwährtsspirale wird durch den natürlichen Alterungsprozess noch verstärkt, das merken dann viele Menschen deutlich in den Wechseljahren, denn mit diesen verstärkt sich unser Abbau (wenn es an Übung und Sport fehlt) unglaublich schnell.

Atemstudie I: Ergebnisse

In den zahlreichen Studien können die Vorteile von Atemübungen aufgezeigt werden. Die Techniken und Übungen führen zur Verbesserung der sportlichen Leistung als auch zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheit. Alle gemessenen Parameter von der kardiorespiratorischen Ausdauer, der Vorbeugung von Verletzungen, der Verbesserung der Stabilität des Kortex bis der allgemeinen Gesundheit (…) verbessern sich. Letztendlich steigt die Lebensqualität.

Atemstudie II

Bei der zweiten Studie[2]Priyanka Singh, Asha Gandhi, Naveen Gaur: A STUDY OF CARDIO-RESPIRATORY CHANGES IN SEDENTARY MEDICAL STUDENTS AFTER 12 WEEKS OF PRANAYAMA AND MEDITATION PRACTICES. Journal of Cardiovascular Disease … Continue reading ging es um die simple Frage, wie sich einige Werte bei gesunden jungen Probanden verändern. Es ging also um die Frage, ob ein Effekt auch schon vor einer Atemstörung messbar ist.

Es wurden Atemübungen und Entspannungsverfahren unterrichtet. Dies wurde mit einer dritten Gruppe ohne Anleitung verglichen. Diese Pranayama- und Meditationsgruppen zeigten nach 12 Wochen einen signifikanten Rückgang

  • Herzfrequenz
  • systolischen Blutdrucks
  • diastolischen Blutdrucks

Zudem stiegen die Werte für

  • Peak Flow (maximale Spitzenausatmung) oder peak expiratory flow. Dies ist ein Messwert im Sport und in der Medizin. Er erfasst die maximale Ausatmungsgeschwindigkeit einer Person.
  • Die relative Einsekundenkapazität auch Tiffenau-Index oder FEV1/FVC ist ein weiterer wichtiger Messwert im Sport und in der Medizin. Er erfasst den Anteil der gesamten maximalen Ausatemluft, der in einer Sekunde ausgeatmet werden kann. Er wird in Prozent der Vitalkapazität angegeben. Dieser Wert sollte über 75 Prozent liegen, bei älteren Menschen höher als 70 Prozent.

Fazit

Die Atmung wird im Alltag, beim Üben und im Trainingsprozess übersehen. Übung ohne bewusstes atmen ist, das zeigen die neuerlichen Studien eindeutig, nicht zielführend.

Die anfänglichen bewussten Atemübungen können nach einiger Zeit mit dem Übungs-/Trainingsprogramm kombiniert werden. Die dann semi-bewussten Atemmuster werden in die unbewussten Muster übernommen. Man geht von etwa 10.000 Wiederholungen aus, und damit ist die Atmung das wohl schnellste System um auf uns selbst einzuwirken. Schon in den alten Mysterien sind diese deshalb federführend in der Umsetzung. Die alten Meister hatten also recht. Nutze auch Du die Atmung und entdecke die positiven Wirkungen für

  • Deinen Alltag (im Beruf)
  • beim Bewegen (Arbeit, Ausdauer, Yoga,…)
  • Meditation/Kontemplation
  • Entspannung

Grundsätze für Atemübungen

Viele verstehen bei Atemübungen richtig atmen. Es gibt aber bei der Atmung kein „RICHTIG“. Andere denken bei Atemübungen Entspannung. Das kann, aber es muss nicht das Zielt sein. Atemübungen beginnen mit Deiner Atmung. Aus Deiner Ruhe- und/oder Arbeitsatmung (bei aerober Anforderung also) wird durch bewusste, halbbewusste oder passive Einflussnahme auf die Atmung eingewirkt.

Die Einflussnahme richtet sich dann konkret nach einem Ziel:

  • Lungenvolumen erhöhen
  • gegen Kurzatmigkeit
  • Zur Entspannung
  • bei einer Lungenerkrankung wie zum Beispiel COPD
  • gegen Stress

Die Einflussnahme mit einer Zielrichtung ergibt dann einen Weg des Übens. Von Deiner Jetztatmung langsam und ruhig durch beständiges Üben zu einer Verbesserung für Dich. Atemübungen sind also immer individuell angepasst und begleiten Dich. Das ist so wie eine sanfte Massage. Sie führt zu mehr Wohlbefinden und zu einem Jetzt und hier sein.

Dein Üben stehen also im Einklang mit Dir. Es hilft und fördert Dich. Idealerweise hilft eine erfahrene Atemtherapeutin, den richtigen Weg für Dich zu finden.

Beispiel Übung

Die volle Yogi Atmung nach Yesudian

References

References
1 Ana Ristovski, Vladimir Mrdaković, PhD: THE IMPORTANCE OF BREATHING EXERCISES FOR FITNESS AND HEALTH
2 Priyanka Singh, Asha Gandhi, Naveen Gaur: A STUDY OF CARDIO-RESPIRATORY CHANGES IN SEDENTARY MEDICAL STUDENTS AFTER 12 WEEKS OF PRANAYAMA AND MEDITATION PRACTICES. Journal of Cardiovascular Disease Research ISSN: 0975-3583,0976-2833 VOL12, ISSUE06, 2021

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