Therapeutische Triangel: Wie ich sie spiele

Therapeutische Triangel: Wie ich sie spiele

„Jeder Trottel kann die Triangel spielen, aber um sie zu beherrschen, musst du ein Profi sein.“ sagt Eric Hopkins (Profimusiker). Bei der therapeutischen Triangel sage ich das Gleiche. Nur wer das Miteinander und Zueinander von subjektivem Empfinden + objektiver Wahrnehmung + medizinischen Parametern beherrscht ist ein Profi.

Die therapeutische Triangel – das Dreieck der Therapie

Viele Patientinnen* fühlen sich bei ihrer Ärztin oder in der Therapie nicht verstanden. Vielleicht ist Dir das auch schon mal so gegangen. Die Gründe dafür sind sehr einfach: Jeder blickt aus seinem Winkel und erklärt ein und Dasselbe ganz unterschiedlich. Die Mediziner schauen auf die medizinischen Parameter, die Therapeutinnen auf objektive Daten, und die Patientin erlebt das eigene Empfinden.

*ich schreibe in der weiblichen Form, das verbessert die Verarbeitung im Gehirn.

Da liegt es fast schon in der Natur der Sache, dass es hier zu Differenzen kommt. Kommen dann noch Fehler in der Vermittlung von Informationen dazu, wird die Schräglage noch größer. Und nicht selten fallen sprichwörtlich Patientinnen einfach „hinten runter“.

Doch mir und vielen meiner Kolleginnen reicht es nicht dieses Wissen zu haben. Wir benötigen viele wirksame Werkzeuge. Zusammenfassend gibt es folgende Felder:

  • Die Sprache von Patientinnen ist vollumfänglich aussagekräftig wenn die Therapeutin ihre Sprachkompetenz entsprechend ausbildet.
  • Es gibt viele geeignete Fragetechniken und Erklärungsmodelle die Therapeutinnen erlernen können.
  • Die Erwartung von Patientinnen fachlich korrekt geführt zu werden ist absolut verständlich.
  • Therapeutinnen können geeignete Lehr-/Lernverfahren erwerben.

Von einer Patientin kann ich nicht erwarten, dass sie subjektive Empfindungen objektiviert. Du siehst weiter unten, warum das auch gar nicht möglich ist. Du brauchst in der Therapie, in der Übung und im Training nur die Bereitschaft Dich auf eine therapeutische Reise einzulassen. Und nicht wenige Patientinnen berichten mir, dass ihnen das ganz neue Lebensräume erschlossen hat.

Woher kommt die „therapeutische Triangel“?

Entwickelt wurde das Modell der therapeutischen Triangel für Patientinnen mit Herz-/Kreislauferkrankungen. Doch das Grundprinzip ist für jede Therapie, Gymnastik, Übung oder Training geeignet. Ich erkläre Dir erstmal, wie es bei Patientinnen mit Herzerkrankungen eingesetzt wird.

Es besteht grundsätzlich die Schwierigkeit das subjektive Empfinden zu den objektiven Wahrnehmungen (und medizinischen Parametern) einzustufen. Deshalb brauchte es ein Mittel, genau das zu tun. Wir nutzen Befragungen und Skalen. Nicht selten führen Patientinnen auf Empfehlung ein Tagebuch ihrer Empfindungen. Das erhöht die Informationsdichte für die Therapeutin deutlich.

Bei einem Ausdauertest und/oder Ausdauertraining wird nach einer bestimmten Zeit (meistens sechs oder zehn Minuten) gefragt, wie anstrengend das ist. Die meisten kennen bestimmt den Ausdauertest auf einem Standfahrrad (Ergometer). Zur Beurteilung der Anstrengung hat sich hier die Borg-Skala bewährt:

Borg Skala
6Keinerlei Anstrengung
7Sehr sehr leicht
8
9Sehr leicht
10
11Leicht
12
13Etwas schwer
14
15Schwer
16
17Sehr schwer
18
19Extrem schwer
20Maximal schwer
Borg Skala

Fällt Dir was auf? Die Zahlen fangen nicht bei Null an. Sie fangen bei sechs an. Das hat einen einfachen Grund. Bei einem großen Querschnitt gesunder Menschen multiplizierst Du einfach mit zehn, und Du hast die wahrscheinliche, dazu passenden Herzfrequenz. Diese lässt sich auch noch einfach messen, indem der Puls getastet wird oder eine Manschette Blutdruck und Pulswert misst. Super simpel was sich der Schwede Borg Anfang der Siebziger da ausgedacht hat.

Die objektive Therapeutin kann nun Messungen durchführen:

  • Herzfrequenz
  • Laktat im Blut: Das ist die Milchsäureausschüttung bei Energieproduktion ohne Sauerstoff
  • Blutdruck
  • Atemfrequenz
  • Atemtiefe
  • Sauerstoffsättigung
  • Messung und Aufzeichnung von Parametern der Lungenfunktion (Spirometrie)

Ergänzend nimmt die Therapeutin andere sichtbare Zeichen auf:

  • Hautdurchblutung/Schwitzen
  • Atemtechnik/Sprechvermögen
  • Bewegungsausführung

Das subjektive Empfinden der Patientin und die objektive Wahrnehmung werden nun im Kontext der medizinischen Daten (der Diagnose) übereinander gelegt. Die Ergebnisse können unglaublich weit auseinander liegen. Denn es gibt krankheitsbedingte und psychologische1 Einflussfaktoren, die unsere Wahrnehmung und Leistungsabgabe merklich beeinflussen.

Woran liegt die Verzerrung unserer Wahrnehmung

Die Reize und Reaktionen in Deinem Körper unterliegen bewussten, halbbewussten und unterbewussten Verarbeitungsmustern. Diese können wir nur sehr begrenzt beeinflussen. Die Veränderung der Verarbeitungsmuster benötigt auch noch viel Zeit. Sie kann nur durch Therapie, Übung und Training erreicht werden kann. Einfluss haben natürlich auch Unfälle, Lebensschicksale und Erkrankungen. Wir sind Individuen, und so verarbeiten wir Reize. Ohne Reizsetzungen verändern sich keine Verarbeitungsmuster.

Es erfordert also gezielte Hilfen, wie zum Beispiel die Borg-Skala, um das subjektive Empfinden soweit zu objektivieren, dass es „messbar“ wird.

Merke

Deine subjektive Wahrnehmung in der Therapie muss analysiert werden, damit wir sie verstehen und die Therapie entsprechend anpassen können. Die Therapeutin hat die Aufgabe dies individuell in der Therapie durchzuführen.

Exakte Steuerung führt zum Ziel!

Nochmal kurz zurück zu einer Herzpatientin: Will man nun eine Patientin maßvoll üben/trainieren, dann erfordert das wirklich eine genaue Steuerung. Aus dem Ergebnis des Leistungstest wird unter Berücksichtigung des subjektiven Leistungsvermögen ein Übungsplan erstellt.

Ein einfaches Beispiel

Die Patientin A empfindet die Leistung als „sehr leicht“ ist aber nach den medizinischen Werten bei 13 („etwas schwer“). Die Therapeutin hilft die Körperwahrnehmung zu sensibilisieren und die Leistungsanforderung in den Fokus zu nehmen. Bei gleichem 13er medizinischen Wert empfindet Patientin B die Anstrengung als „sehr, sehr schwer“. Hier sucht die Therapeutin nach Gründen und hilft der Patientin diese gezielt anzugehen. Beide Beispiele sind natürlich eine grobe Vereinfachung.

In der Übung wird jeder Patientin dann ein eigener Plan erstellt. Es ist ein exakter Widerstand in einer bestimmten Geschwindigkeit für eine bestimmte Zeit zu halten. Hier ein Beispiel: Dauertechnik auf dem Ergometer mit 50 Watt für 10 Minuten Tempo 80 Umdrehungen.

Man muss es quasi auf den Punkt bringen. Will man nun bei der gleichen Frau die Fettverbrennung anregen, sind die Daten anders: 30 Minuten 15 Watt Tempo 60 Umdrehungen. Die Werte variieren im Verlauf der Therapie. Regelmäßige meist wöchentlich Re-Befundungen sind dafür nötig. Unterschiede in der Tagesform werden trotzdem berücksichtigt.

Du siehst: Effektive Übung/Training erfordert exakte Dosierung. Es sind individuelle Empfindungen wichtig, und es muss nach Therapiezielsetzungen genau dosiert werden. Also: Eine Übung, eine Gymnastik oder ein Training sind idealerweise genau so angepasst, das es Dir entspricht. Landläufig sagen wir dann gern: Trainiere im grünen Bereich. Damit ist nicht das Training im Grünen gemeint😉. Wir führen den Körper aus der „Komfortzone“ ohne ihn zu überfordern. Diese Steuerung erfordert viel Feingefühl. Therapie, Übung und Training darf und muss den Körper genau da „kitzeln“, wo das Ziel liegt.

Grüner Bereich

Warum der grüne Bereich nicht einfach ein Balken ist, erklärt sich aus den unterschiedlichen Parametern, das zeige ich später in einem weiteren Beitrag.

Was ist mit den anderen motorischen Bereichen?

Am Beispiel der Ausdauer konnte ich Dir zeigen, wie eine exakte individuelle Übung- und Trainingssteuerung funktioniert. Nun, auch wenn sich die Parameter ändern, das Prinzip bleibt für alle motorischen Beanspruchungen gleich:

  • Flexibilität („Dehnfähigkeit“ und Gleitfähigkeit der Strukturen)
  • Koordination
    • Intramuskulär (in einem Muskel)
    • Extramuskulär (mehrere Muskeln)
    • Ganzkörper/Körperteile (Bewegungsmuster)
    • Gleichgewicht
  • Kraft
  • Schnelligkeit

Bevor ich auf die Anwendung im Bereich der Therapie komme möchte ich noch eine andere Frage beantworten:

Trainingssteuerung in der „Fitnessindustrie“ und im Breitensport

Fachleute kennen im Prinzip keine Fitness. Und Breitensport dient der Breite der Bevölkerung. Es ging bei den historischen Entscheidungen (Beispiel Trimm-Dich 130 Bewegung) mehr um eine Massenbewegung. Die Masse sollte sich mehr bewegen. Egal wie und wie effektiv. Und im Fitnessstudio möchte man das Anforderungsprofil auch nicht zu hoch ansetzen, denn damit holt man seinen Kundinnen durchaus aus einer „Komfortzone“.

Fitness (Wikipedia)

Fitness wird im Allgemeinen das körperliche und oft auch geistige Wohlbefinden verstanden. Fitness drückt das Vermögen aus, im Alltag leistungsfähig zu sein und Belastungen eher standzuhalten.

Steuerung in der Therapie

In der Therapie ist die Steuerung nochmal deutlich komplexer als beim Üben oder im Training. Auf Basis der ärztlichen Diagnose wird ein detaillierter Befund erstellt. Jede Patientin ist mit ihrem Körper, ihrem Geist und ihrer Seele einzigartig. Auch nach vielen Jahren der Praxis ist mir noch kein gleicher Mensch begegnet. Die sehr differenzierten therapeutischen Ziele müssen mit individuellen Maßnahmen ausgeführt werden. Dabei ist das aufmerksame Wahrnehmen, sich Zeit nehmen und selber in Ruhe sein unabdingbar.

Die Veränderung der Triangel bei einer Erkrankung

Weiter oben bin ich von einer regulären und in gewisser Weise vorhersagbaren Triangel ausgegangen. Merkmal einer Erkrankung ist aber die Veränderung der Vorhersagbarkeit. Die „gesunde“ Einheit von subjektiven Empfinden, objektiver Wahrnehmung und medizinischen Daten geraten mit der Erkrankung in ein zunehmendes Ungleichgewicht. Oder andersherum gesagt, das zunehmende Ungleichgewicht ist eins der wesentlichen Symptome einer Erkrankung.

Fazit: Für eine patientenorientierte Therapie ist das Dreieck aus medizinisches Parametern, der objektiven Wahrnehmung und dem subjektiven Empfinden maßgebend.

Fußnoten

  1. „Psychophysical bases of perceived exertion.“(BORG, G.)Medicine and Science in Sports and Exercise 1982 14 (5), S. 377–381

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