In der Medizin schauen viele selektiv auf eine gestörte Struktur. Sie berücksichtigen dabei den funktionellen Zusammenhang nur sekundär. Die gestörte Struktur muss wieder hergestellt werden und dadurch wird die Funktion wieder erreicht. Das ist ein äußerst fataler Irrtum.
Die systemische Problematik hat eine lange Historie. In den Gesprächen mit Professor Becker diskutierte ich diese Ursache vielfach. Er war in den 90ern verantwortlich für einen neuen Ansatz im medizinischen Studium. Der Ansatz war eine durchwegs patientenzentrierte Herangehensweise. Kurzum: Wir können die einzelne Physiotherapeutin oder Ärztin nicht wirklich in die Verantwortung nehmen für die selektive Sichtweise.
Vor kurzem erschien eine Studie über etwas, was bei entsprechender Ausbildung eigentlich gar keiner Frage mehr bedarf. Untersucht wurden zwei Behandlungsansätze bei Schulterbeugung. Konkret handelt es sich um eine Fehlstellung der Schulter nach vorne und unten. Sie wird gern auch Schulterrundstellung genannt. Das Problem an der Haltung sind zwei Folgen:
- Das reguläre Zusammenspiel bei Armhebung zwischen Oberarmknochen, Schulterblatt und Brustkorb wird massiv behindert. Die Störung des „Humeroskapulothorakaler Rhythmus“ führt in der Regel zu einer vorerst entzündlichen Situation verschiedener Strukturen im Schultergelenk, mittelfristig zu Kalkeinlagerung und langfristig zu einer Schultersteife.
- Die oberen Schultermuskeln müssen fallverhindernd durch eine Tonuserhöhung arbeiten. Das führt nicht nur zu Verspannungen im Nacken, sondern auch zu einer Dysharmonie der Wirbel-Wirbelgelenke unter anderem.
In der Studie[1]Hasan S, Iqbal A, Alghadir AH, Alonazi A, Alyahya D. The Combined Effect of the Trapezius Muscle Strengthening and Pectoralis Minor Muscle Stretching on Correcting the Rounded Shoulder Posture and … Continue reading wurden nur zwei Gruppen gebildet. In der einen wurde der verkürzte Brustmuskel gedehnt. Der M. Pectoralis minor ist zwar eingelenkig und dürfte gar nicht anfällig sein für eine solche Verkürzung, doch genau das erfolgt bei der Rundstellung. In der zweiten Gruppen wurde der geschwächte untere M. Trapzius auch trainiert.
Der Vergleich innerhalb der Gruppe ergab signifikante Verbesserungen (q > 2,00) bei der zweiten Gruppe. Die Ruhelänge des M. Pectoralis minor war deutlich besser. In der Praxis zeigt also die Kombination einer (in der Regel) passiven Maßnahme erst Erfolg, wenn die Patientin auch zum Üben angeleitet wird.
NUR: Bei der oben beschriebenen Problematik bleibt bei einer Richtbehandlungszeit von zwanzig Minuten und sechs bis zwölf Therapieeinheiten (Deutschland, gesetzlich versicherte) faktisch keine Zeit eine funktionelle Sichtweise anzuwenden.
Die Schulterrundstellung wurde durch allerdings in beiden Versionen nicht verbessert. Dazu müsste ein vertiefter und ganzheitlicher Ansatz gewählt werden. Aber fürs Erste wäre es schon durchaus hilfreich, mehr Zeit für eine praktische Lehr-/Lernvermittlung zu haben, damit Patientinnen auch aktive Übungen erlernen können.
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